Friedhofsgärtnerin Silke Grünberg will mehr Leben auf 'ihren Gottesacker' bringen 

 

Von Tod, Trauer, Abschied, aber auch einem Ort der Liebe

 

Am 17. September ist „Tag der Friedhöfe“. Doch die sind vom Aussterben bedroht

 

Eigentlich gehört die deutsche Friedhofskultur zum schützenswerten immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Doch im Gegensatz zu indischem Yoga, italienischem Pizza-Backen und brasilianischem Samba, die auf der Weltliste stehen, droht immer mehr deutschen Friedhöfen das Aus. Zumindest, wenn nicht ein Umdenken einsetzt.

 

Von Gitta Schröder

 

Friedhofsverwalterin und gelernte Baum-Gärtnerin Silke Grünberg, die sich um die letzte Ruhestätte der Gemeinden Herzhorn und Engelbrechtsche Wildnis in Schleswig- Holstein kümmert, will mehr Leben auf ‚ihren‘ Gottesacker bringen. Durch Kräuter- und Botanik-Führungen, Klönschnacks mit Kuchen und Kaffee sowie Kino in der Kapelle. Silke Grünberg bedauert, dass ihr Friedhof immer mehr verkommt, weil sich inzwischen so viele Menschen für kostengünstigere Urnengräber, Friedwälder, Seebestattungen oder anonyme Beisetzungen auf der grünen Wiese entscheiden. „Dabei ist es doch total schön, hierher zu kommen, die blumenumkränzten Gräber zu betrachten und die Ruhe aufzusaugen oder auch mit den anderen Trauernden ins Gespräch zu kommen, sich auf eine Bank zu setzen und den Vögeln zu lauschen”, findet Silke Grünberg. Doch sie steht damit zusehends allein da.

Denn trotz ihrer unschätzbaren geschichtlichen, kulturellen, sozialen und biologischen Bedeutung sterben Friedhöfe immer mehr aus, weil sie aufgrund ihres ‚Leerstandes‘ in tiefroten Zahlen stecken und für die Gemeinden schlicht zu teuer werden. Oder auch, weil an ihrer Stelle dringend Wohnraum benötigt wird.

So wurde ein Teil des Dreifaltigkeitsfriedhof III von Berlin-Mariendorf in Bauland umgewidmet und die letzte Ruhestätte im Mecklenburg-Vorpommerschen Roggenstorf bei Grevesmühlen gerade deutlich verkleinert.
Einen anderen Weg schlugen die Bürgerinnen und Bürger von Geisenheim bei Wiesbaden ein, als sie ihrem aus dem Jahr 1922 stammenden Friedhof mit Grabmalen von hoher historischer und kunsthandwerklicher Bedeutung retteten. Sie verwandelten die 6350 quadratmeter-große Fläche in eine Park- und Grünfläche für Alle – behielten aber die unter Denkmalschutz stehenden Gräber bei. 120000 Euro investierte die Gemeinde in ihren neuen Park und etliche freiwillige Helfer arbeiteten unermüdlich, bis das frühere Reich der Toten nun ein lebendiger Ort mit Boule- und Schachfeld, Federball-Platz und Picknick-Fläche wurde. Außerdem wollen die Geisenheimer Stadtführerinnen Touren über den Friedhof anbieten.

 

Eine Idee, die auch Trauer-Rednerin, Kunsthistorikerin und Psychologin Dr. Anja Kretschmer hatte. Die Rostockerin, die zu ‚Häusern der Ewigkeit, Mausoleen und Grabkapellen des 19. Jahrhunderts‘ promovierte, tritt bei ihren ‚Friedhofsgeflüster‘- Gängen als schwarze Witwe aus dem 19. Jahrhundert auf und erzählt über Aberglauben und besondere Trauer-Riten unserer Vorfahren. So erfahren die Gäste, was oder wer ein Leichenbitter ist, was es mit den Totenkronen auf sich hatte und warum man früher eine Erbse in den Sarg legte. Die Auseinandersetzung mit dem Tod findet Anja Kretschmer enorm wichtig, die unter dem Titel „Scientia mortuorum“ (Wissenschaft der Toten) jährlich Seminartage veranstaltet, bei denen Plastinierer zu Wort kommen, Kremations-Techniker, Sarg-Geschichten-Erzählerinnen, Knochenjäger und auch Death Comedians auftreten. Eine Veranstaltung, die auch die schwarz gekleideten Grufties mit ihrem Hang fürs Morbide anzieht.

Ein Wandel ist also offensichtlich angesagt, damit der letzte Gang eines Menschen nicht auch der ultimativ letzte für die Friedhöfe wird.
Dirk Ziems ist Unternehmensberater bei conceptm.eu und Kenner der Bestattungs- Branche. Er findet, dass die Bestattungskultur zwar ein kulturelles Ritual sei, das aber mit jeder Generation neu gelernt werden müsse. Aktuelle Entwicklungen wirken sich seiner Meinung nach auf die Friedhöfe aus. So zum Beispiel die zunehmende Tabuisierung des Todes sowie die Lockerung von sozialen Bindungen und religiösen Aspekten. Denn schon lange hätten nicht mehr nur die christlichen Religionen die alleinige Deutungshoheit über ein Begräbnis. Auch muslimische Bestattungen mit ihren Besonderheiten seien immer häufiger zu erfüllen. Und die Regeln des Islam schreiben eigentlich eine Bestattung innerhalb von 24 Stunden vor, in Deutschland ist diese aber frühestens 48 Stunden nach Sterbefall erlaubt. Außerdem werden Moslems ohne Sarg und stattdessen nur im Leinentuch beerdigt, weshalb einige Friedhöfe bereits die Sargpflicht gelockert haben. Und weil sich das Bestattungswesen nach Meinung von Dirk Ziems von der Jenseitsvorstellung weg hin zur Würdigung einer individuellen Lebensbilanz verschiebt, werden auch freie Trauerredner immer beliebter. Genau wie Segeltouren zur Trauerarbeit oder Urnen mit so fantasievollen Namen wie Erdbeertraum oder Sommerhauch. Neue Agenturen, die Bestatter für die Trauer im Web 2.0 fit machen, empfehlen außerdem, heute zu bloggen, auf Facebook aktiv zu sein oder Online-Trauerportale einzurichten – mit virtuellen Kerzen und digitalen Grabsteinen plus eingemeißelten QR-Code, auf dem sich Besucher der E-Grabstätte durch Bilder der Verstorbenen klicken können.

Klar ist bei alledem – dass damit ein weiterer Schritt in Richtung Tod der alten Dorffriedhöfe getan wird. Denn wie sollten sie es mit den pompös-virtuellen Pling-Pling- Technik-Grabstellen aufnehmen, die per Handy oder Tablet einfach aufrufbar sind und nicht mühsam angefahren oder gepflegt werden müssen?

Doch es hat schon einen Grund, warum die ewigen Gärten der Toten zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt wurden und unbedingt schützenswert sind.
Denn sie locken mit einmaliger Natur, Insekten-Inseln und Ruhe-Oasen und dienen häufig als wichtige, grüne Lunge in Stadt und Dorf.

Deshalb versuchen viele Friedhofsverwalter auch, das rote Minus auf den Konten der Gemeinden in ein grünes, nachhaltiges Plus zu verwandeln. Marc Völker aus dem kleinen Heide-Dorf Müden zum Beispiel hat neben den Gräbern ein wertvolles Biotop

 

mit Teich, Sumpfpflanzen, Heidelandschaft und Bienenkörben renaturiert und ein neues Ausflugsziel für Menschen geschaffen, die im Anschluss auch über den friedlich gelegenen Friedhof nebenan schlendern können – es aber nicht müssen.

Damit der allerletzte Fußabdruck CO2-neutral ist, gibt es heute außerdem umweltfreundliche Beerdigungs-Alternativen, statt große Mengen von Holz für Särge zu verbauen. Angeblich werden rund 16187 Quadratkilometer Wald – eine Fläche so groß wie 4,6 Millionen Einfamilienhäuser – benötigt, um die Holznachfrage nach Särgen zu stillen. Behauptet zumindest Benu – ein Wiener Bestattungsunternehmen, das Krematorien schon als umweltfreundlicher einstuft. Aber auch diese verbrauchten während einer Stunde Verbrennen noch so viel Energie, als würde sich jemand 50 Stunden lang die Haare föhnen. Und Benu argumentiert weiter: Selbst, wenn moderne Krematorien mit Hilfe von Photovoltaik-Anlagen nahezu CO2-neutral arbeiten, seien sie nicht unbedingt der umweltfreundlichste Weg, den Körper in das ewige „Was-auch- immer“ zu entlassen. Denn, wo Feuer sei, da entstehe auch Rauch, Kohlenstoffdioxid, Kohlenstoffmonoxid, Salzsäure, Schwefeldioxid, und im Fall von Amalgamfüllungen aus den Zähnen der Verstorbenen sogar Quecksilberdampf.
Zum Glück seien die modernen Krematorien mit guten Luftfilteranlagen ausgestattet, die die schädlichen Stoffe herausfischten. Und apropos Fischen: Es gibt tatsächlich auch ein Unternehmen, nämlich die niederländische Firma OrthoMetals, die die verbliebenen Metallreste von medizinischen Implantaten aus den Ascheresten der Toten recycelt. Allerdings lobenswerter Weise, um die Erlöse daraus großzügig zu spenden.

Doch zurück zu den Österreichern und deren neuen Bestattungswegen: Da gibt es zum Beispiel die alkalische Hydrolyse, die zunächst poetisch klingt, in Realität aber ein bisschen schauerlich ist: Denn der Leichnam wird dafür in einem Druckbehälter mit Lauge zersetzt. Zweiter Bestattungstrend der nachhaltigen Wiener ist das so genannte „Mushroom Suit & Coffin“, bei dem Pilze die Toten kompostieren. In der „Capsula Mundi“ wächst aus der Urne ein Baum. Und unter „Riff“ verstehen die Öko-Bestatter Kugeln aus Beton mit Leichen-Asche, die später als Wohnraum für Korallen dienen.

Aber warum nicht die Toten dort ruhen lassen, wo sie vorher auch gelebt haben? Also in der Nähe? Auf dem Friedhof? Wo sie ihren Frieden finden.
Wie sagte es der 2012 verstorbene, sehr progressive Bestatter Fritz Roth aus Bergisch- Gladbach einmal so schön, der damals ein „Landhotel der Seele“ erschaffen hatte: „Trauer ist Liebe.“ Deshalb plädierte Roth auch dafür, dass die Angehörigen ihre Toten nicht einfach vom Krankenhaus auf den Friedhof abtransportieren lassen sollten, sondern selbst waschen, ihnen das Totenhemd anziehen, sie in den Sarg betten und ihre toten Angehörigen schließlich eigenhändig in die Grube hinablassen sollten. Als letzter Akt der Hingabe und Zuneigung. Heute gibt es eine Fritz-Roth-Stiftung und seine Nachfolgerinnen und Nachfolger bieten sensible Wege des Abschiednehmens an.

Was für ein schöner Gedanke: „Trauer ist Liebe“. Insofern sind Friedhöfe nichts anderes als andächtige Orte vieler Liebender – und schon deshalb unbedingt erhaltenswert.