DAS MULTITASKING-EXPERIMENT:

 

Für die einen Menschen klingt Multitasking nach Flexibilität, Effizienz und Produktivität. Für die anderen einfach nur nach dem ultimativen Stress. Unsere BARBARA-Autorin Gitta Schröder gehört erst seit kurzem zu letzteren. Die Geschichte zweier Selbstversuche

 

Abends wirst du garantiert einen Schnaps brauchen“, sagt meine Nachbarin. Kirsten ist Mutter zweier toller Jungs, Joel (9) und Johann (7 Monate), sie wird wissen wovon sie spricht. Jedenfalls ist sie froh, dass ich die Kinderparty für ihren Ältesten ausrichten werde. Ausgerechnet ich werde versuchen, sechs wilde Jungs zwischen 8 und 10 und ein 7-jährigen Mädchen zu bespaßen. Ich, die Kinderlose. Warum ich das mache? Weil es Stress pur ist. Darum!

Arbeitsministerin Ulrike Roth ist ja der Meinung, das Multitasking nicht funktionieren kann. Ich glaube aber, dass gerade Frauen das bestens hinbekommen. Und um das zu beweisen, setze ich mich gleich zwei Stresstests aus. Denn nach der Kinderparty wird es meine Aufgabe sein, an einem Freitagabend im überfüllten Biergarten „Blockbräu“ an den Hamburger Landungsbrücken zu kellnern. Mein vom Yoga inspirierter Masterplan: Statt abzusaufen werde ich meine innere Mitte spüren und das Mantra murmeln: „Ich bin total gelassen. Nichts bringt mich aus der Balance. Ooomh.“

AM D-DAY KINDERPARTY braue ich mir um 7 Uhr sehr bewusst einen dampfenden Kaffee und kraule tiefenentspannt meinen Hund. Beim Blick durchs Küchenfenster in den Garten denke ich allerdings: „Das Fenster müsste dringend noch geputzt werden!“ Und dann passiert’s: Der Stress- Schalter klappt um. Die Gedankenfetzen flirren, Ich-Muss-Sätze treiben meinen Blutdruck in die Höhe. Schnell noch Küche und Bad wischen, Terrasse fegen, Einkaufszettel schreiben. Und im Netz Spiele für die Party recherchieren. Gummitwist und Topfschlagen oder sowas. Was muss ich eigentlich einkaufen? Sprite, Fanta, Maoam, Smarties, Minicornetto, Pommes, Bratwurst, Konfetti, Girlanden. Zusätzlich tickt meine innere Stoppuhr. Elf Uhr schon, um 15 Uhr gehts es los ...

Hitze, Schnaufen, Herzklopfen, Puls auf 200, die Synapsen explodieren, aber es klappt mit dem Multitasking. Der Tisch ist gedeckt und dekoriert, die Spielaccessoires sind im Wohnzimmer verteilt. Schnell nochmal geduscht – da klingelt’s an der Tür: Hallo Joel, Marcel, Xander, Kjell, Konstantin, Jan-Kalle, Smilla.

Binnen Sekunden: Krakeelen, Toben, Kreischen, noch mehr Toben – und ich im Stress. Ratzfatz sind Maoams, Quarkbällchen und Erdbeertorte vernichtet, die Brausebecher ausgekippt und die Polster der Stühle nass. Hoffentlich von der Brause. Jetzt bloß nicht den Überblick verlieren. „Hey guckt mal! Wir machen ein Spiel im Wohnzimmer“, rufe ich. Topfschlagen? Gummitwist? Die Kinder sind nicht überzeugt.

Die Meute rennt durchs Wohnzimmer, löst Aufgaben, grübelt über Rätsel, brüllt, kreischt. Und tobt noch mehr. Ich muss die wieder einfangen, denke ich, und mir noch eine Aufgabe einfallen lassen. Da steht Xander vor mir: „Ich mag keine Erdbeertorte.“ – „Dann isst du eben Eis, okay?“ Jan-Kalle lässt sein Glas fallen. „Macht nichts“, beruhige ich ihn. Und mich.

DAS IST KEIN MULTITASKING, das ist Taktieren auf höchstem Niveau. Jetzt schnell zum Ende kommen, bevor meine eigene Konzentration komplett hin ist. Am besten die tobenden Kinder endlich in den Garten lassen.

Draußen ist es schwül. Genau das richtige Wetter für Wasserbomben, finden die Jungs. Smilla ist getroffen und klitschnass. Soll ich meckern oder den Jungs freien Lauf lassen? Bam, bam, bam – die Rosenbüsche sind so gut wie zerschossen, die Fische im Teich aufgeschreckt.

„Mein Stress-Pegel ist inzwischen volle Pulle auf Anschlag“

Jetzt psychologisch schlau taktieren, bevor Konstantin mit dem Laserschwert entwischt und die Jungs hypnotisiert folgen. Was hatte Kindsmutter Kirsten noch für einen Tipp gegeben? „Krieg der Sterne geht immer“. Also okay: „Ihr seid Helden“, sage ich, „und ihr müsst jetzt Darth Vader aus den Fängen von Tyrannosaurus Rex retten. Am besten im Team (pädagogisch toller Ansatz). „Befreit doch zuerst die Blaue Prinzessin.“ Smilla nölt: „Ich will nicht die blöde Prinzessin sein!“ Also zieh ich mir das alberne Prinzessinnen-Röckchen an. Aber keinen interessiert's.

Ey, Jungs! Smilla? Laser-Kämpfe. Randale. Weinen. Muckschen.

Dann 17 Uhr. Kirsten, meine Retterin, kommt. Ich kann kaum sprechen, nicke nur schwach, als sie Fragen stellt. Jetzt noch Bratwürste und Pommes in die johlenden Münder stopfen und durchhalten. Als die Gartentür eineinhalb Stunden später zufällt, kehrt brüchige Ruhe ein.

Ich trinke zwei Bier und zittere immerhin nicht mehr, bin aber komplett verwirrt. Es fühlt sich ungesund an. Ich denke, dass Arbeitsmedizinerin Ulrike Roth wohl Recht hat …

 

Eine Woche später: Zweiter Versuch. Heute werde ich mich meinem Jugend-Trauma stellen: und Kellnern. Und das bei 30 Grad auf der Dachterrasse des „Block- bräu“, wo jetzt im Sommer gefühlt Millionen von Touristen ankommen, um beim Pötte-Gucken Bierhumpen zu leeren.

Die Vorstellung ist schlimm, schlimm, schlimm, aber nicht wegen des Biers und Blockbräus. Als Gast wäre ich beglückt. Aber: Ich leide unter phlegmatischer Dyskalkulie. Heißt: im fixen Kopfrechnen bin ich eine Null. Als Mädchen habe ich deshalb mal einen Sommerjob als Kellnerin nach nur einem Tag verzweifelt hingeschmissen. Dieses Grauen ist nun für mich, im Alter von 50 Jahren, wieder allgegenwärtig.

Tagelang mache ich mich fertig, male mir schlimme Szenarien aus. Aber als ich am Freitagnachmittag um 16 Uhr auf der Dachterrasse ankomme, erzählt mir mein Schichtleiter Ali lächelnd, dass ich nur mit einer Kellnerin mitlaufen soll, um ihr zu helfen. Damit habe ich nicht gerechnet.

NUR KELLNERN UND BIER tragen, das schaffe ich! Beschwingt albere ich herum mit Sophie, meiner Anweiserin, und mit dem Team – aus insgesamt 20 Nationalitäten. Alle total sympathisch, hübsch und irre jung. Die Stimmung ist entspannt.

Nur doof, dass um 17 Uhr plötzlich die Menschenmassen einfallen. Die Frauen bestellen vor allem Alsterwasser und Aperol Sprizz. Viele Männer schütten trotz derber Hitze Pils oder Weizen in sich hinein. Und hecheln den jungen Deerns in ihrem Kellnerinnen-Outfit nach. Wie schön es ist, diesen Typen mit einem strengen „So, meine Herren, jetzt aber mal Platz machen, zack, zack!“ etwas Feuer unterm Hinter machen zu können.

Als Kellnerin hat man irgendwie auch  etwas Macht. Schön auch, am Tresen zu lauern, bis die zwei Zapfer die Bons mit Bestellungen abgearbeitet haben. Ich schaffe es sogar, die kleinen Tabletts mit etlichen Gläsern unfallfrei zu den Tischen zu balancieren. Stürzen wäre ganz schön peinlich! Sophie nickt mir zu. Gut gemacht.

„Ich hetze nur hinterher. Tisch wischen, Ascher leeren, zurück zum Tresen“

Sie kellnert schon seit drei Jahren im Blockbräu, mit 8- bis 10-Stunden-Schichten ist sie ein Vollprofi. Als ich sie frage, was nach so einem Tag am meisten schmerzt, antwortet sie trocken: „Naja, Knie und Hüfte tun weh, ich habe einen Fersensporn und da ist was mit meinen Bandscheiben ...“ Und heute kommt sicher noch ein Hitzestich dazu, denke ich. Aber Sophie grinst nur und hetzt gut gelaunt zum nächsten Gast. Und ich hetze immer hinterher: Tisch abwischen, Aschenbecher säubern, Bierdeckel hübsch drapieren. Und danach zurück zum Tresen und den Zapfern Dampf machen.

„Gitta, in einer Stunde übernimmst du den Tresen“, sagt Schichtleiter Ali. Ich nicke und bin begeistert. Zapfen find ich gut. Kann ich, glaub ich. Aber vorher muss ich noch mein volles Tablett rüber zu Elvis tragen. Wie lustig sieht der bitte aus, und erst die Jungs in den schlimmen Rosé-Tüll, die einen Junggesellenabschied feiern.

Inzwischen bepacke ich die Tabletts im Sekundentakt und versuche auf dem Plan zu ersehen, wo ich auf der Terrasse Tisch Nummer 307 finde? Und 350? Dauernd muss ich die anderen stören und fragen. Aber sie bleiben entspannt, trotz Hyperstress und der männlichen Gäste, die nun immer betrunkener sind. Der Stundenlohn von 8,50 Euro für das Ackern bei Mörderhitze ist nicht besonders gut, finde ich, und wasche meine klebrigen Hände.

Da winkt mich Edison aus Ecuador zu sich hinter den Tresen. Endlich Schatten, wie angenehm! Obwohl: Mittlerweile ist Zapfen im Sekundentakt angesagt. Die Bons werden unerbittlich aus einem kleinen Kasten ausgespuckt und wir arbeiten auf Volldampf die Bestellungen ab. Pils kann ich gut, aber Weizen ist fies sprudelig. Das dauert zu lange. Die Kollegen wollen endlich ihre Tabletts wegschleppen können. Inzwischen sehen sie mich genervt an. Und schon dreht sich die Stimmung.

18.30 UHR. DIE SCHLAGZAHL zieht an und ich verstumme, um zack, zack, zack zu zapfen. Fieser Stressmacher ist das maulige Rufen der Kellner „Gitta, ich brauch Schaum! Schaahaum!“ Ich übersetze es als: „Setzen, Sechs.“ Die gefühlt 20 Kellnerinnen rennen mit Tabletts zu den Gästen, auf denen sich turmhoch Backfisch mit Kartoffelsalat und Brezelburger stapeln – die beliebtesten Bestellungen, laut Alexander aus der Küche. Duftet das! „Boah, ich hab Hunger“, flüstere ich dem indischen Tresenmann Sandeep zu, der seine Schicht neben mir angetreten hat und anscheinend die Ruhe selbst ist. Er lächelt so zauberhaft und entspannt, dass ich mich an mein verschüttetes Mantra erinnere: „Ich bin gelassen und ganz bei mir.“

Deshalb mache ich auch nach fünf Stunden einfach Schluss und traue mich, bei Schichtleiter Ali den Weicheier-Spruch zu bringen: „Ich bin Autorin – hol mich hier raus!“ Mit großem Respekt sehe ich noch einmal in Sophies Richtung, bis sie wieder ins hektische Geschehen eintaucht. Trotz extra bequemer Turnschuhe spüre ich meine schmerzenden Füße.

Sogar in der Nacht sucht mich das Blockbräu immer wieder auf. Ich träume vom Zapfen und den Rufen der Kollegen: „Drei Kleine, ein Weizen, eine Cola. Gitta, ich brauch Schaahaum!“

Mein Resümee: Okay, ich habe es doch nicht so mit dem Multitasking. Ich bewundere die Kellnerinnen und Tresenleute für ihre Stressresistenz – wie auch immer die das machen. Und meine besondere Hochachtung gebührt den Müttern, vor allem denen von Jungs. Ich knie nieder vor euch!