Die engagierten Christinnen in ihren gestärkten Blusen mit den typischen Missions-Aufnähern hatten damals allerdings noch keine feste Anlaufstelle. Sie waren einfach mobil auf den Bahnsteigen unterwegs, betätigten sich ebenfalls als Bahnsteighilfen für ältere Reisende, Kranke oder Kinder, packten Koffer mit an oder wiesen das richtige Gleis.
Heute – 120 Jahre später – laufen immer noch Mitarbeiter der Hamburger Bahnhofsmission durch die Bahnhofshallen, um mit anzupacken oder weiter zu helfen. Aber schon länger hat man teils wechselnde Räume in den Fernbahnhöfen Harburg, Altona und im Hauptbahnhof bezogen.
Die Zentrale der Bahnhofsmission unter Leitung von Axel Mangat (siehe Interview) befindet sich zwischen Wandelhalle und Zentralausgang des Hauptbahnhofes. Wobei der Leitsatz der Bahnhofsmission stets der gleiche geblieben ist: Jedem die Tür zu öffnen, der in Not geraten ist und Hilfe benötigt.
13 Festangestellte, 7 Freiwilligendienstler und vor allem die 70 Ehrenamtlichen (die übrigens nicht streng-christlich zu sein brauchen, aber die Arbeit der Kirche gut finden sollten) ermöglichen es, dass die Anlaufadresse am Hauptbahnhof Tag und Nacht geöffnet ist. Und zwar 365 Tage im Jahr. 24 Stunden. Selbst an Feiertagen.
Damit ist die Bahnhofsmission Hamburg etwas bundesweit Besonderes, denn nur die Missionen der Hauptbahnhöfe Frankfurt, Berlin-Zoo und Würzburg bieten einen ähnlichen Rund-um-die-Uhr-Service – einen Ort, der auch geöffnet ist, wenn Obdachlosen-Asyle oder Wärme-Stuben längst geschlossen haben. Hierher kann jeder kommen, wenn er eine kurze Zeit der Besinnung benötigt, Halt sucht oder Hilfe braucht.
Was hatten Sie sich früher unter der Bahnhofsmission vorgestellt?
Mangat: Ich hatte keine konkrete Vorstellung und habe sie erst mit der Heilsarmee verwechselt. Die konkrete Arbeit war mir nicht vertraut und mit dem Wort „Mission“ im Namen habe ich zuerst missionarische oder evangelisierende Aufgaben verbunden. Aber als ich die Stellenanzeige sah, hat sie mich nicht mehr losgelassen und nach einem Gespräch mit der damaligen Leiterin, war ich sehr angetan von dem besonderen Arbeitsspektrum.
Ich möchte meine Person und Fähigkeiten hier einbringen. So habe ich zum Beispiel unseren Facebook- und Twitter-Auftritt angeschoben und Youtube-Videos online gestellt. Ich möchte mit diesen Maßnahmen erreichen, dass möglichst viele Menschen und insbesondere Jüngere unsere Einrichtung kennenlernen. Deshalb nehmen wir auch 20 bis 30 Schülerpraktikanten jährlich. Mit der Bahnhofsmission bieten wir ein praktisches, lebensnahes und extrem niedrigschwelliges Angebot, das den hilfesuchenden Gästen das Gefühl gibt, willkommen zu sein.
Es sind Menschen in verschiedensten Notlagen, darunter zu einem Drittel klassisch „Reisende“. Das zweite Drittel unserer Besucher sind Menschen, die sich am Bahnhof aufhalten und zum Beispiel obdachlos, einsam, erkrankt, hilflos oder verwirrt sind. Und für ein weiteres Drittel sind wir die erste Anlaufstelle – zum Beispiel, wenn jemand nach einer Trennung oder nach einem Rausschmiss verzweifelt ist oder sich einsam fühlt. Viele unserer Gäste brauchen uns als Zuhörende für ihre Probleme.
Während sich die Mitarbeiterinnen früher vor allem um die unbedarften, jungen Frauen vom Lande kümmerten, haben wir es heute mit dem Problem der globalisierten Armut zu tun. Heute kommen junge Männer aus dem Ausland, aus Krisen- und Kriegsregionen, weil sie hoffen, dass es in Hamburg alles besser wird. Diese Hilfesuchenden haben in Deutschland fast keinerlei Lobby. Und auch wir selbst müssen immer wieder hart um die Finanzierung unserer Arbeit kämpfen. Das zeigt sich unter anderem darin, dass unsere Räume sehr begrenzt sind. Dabei bräuchten diese Menschen dringend mehr Ruhe, Rückzugsmöglichkeiten, Essen, Trinken oder einen Schlafplatz. Denn die Notunterbringungen des Winters sind wieder geschlossen und alle Obdachlosenunterkünfte gnadenlos überfüllt.
Neulich hat mal ein kleiner Junge einer Besuchs-Schulklasse sehr schön unser Anliegen zusammengefasst. Er antwortete nämlich auf die Frage eines Mitschülers, was eigentlich Mission bedeutet – ‚Hey, das ist wie bei Computerspielen. Die haben eine ‚Mission from God’. Und ja – wir wollen für ‚den Nächsten da sein – egal, wer und was er ist. Ich sehe das als den Kern unserer Arbeit: Gutes zu tun. Und diese Mission vermitteln wir in der Öffentlichkeit am besten, wenn wir dazu einladen, einfach mal bei uns vorbei zu schauen. Wir haben schließlich immer geöffnet. Ob für Seitenwechsler (eine Weiterbildungsmöglichkeit für Führungskräfte, die den Kontakt zur Basis wieder gewinnen und erfahren möchten – www.seitenwechsel.com), Landfrauen, Nachwuchskräfte der Bundespolizei oder welche Interessierten auch immer.