Vom Für und Wider, wenn Erwachsene kiffen dürfen

Die Emotionen kochen über, wenn es um die Legalisierung von Cannabis geht. Denn kaum ein Thema polarisiert mehr, als dass Erwachsene künftig ca. 20 Gramm Gras straffrei besitzen oder sich diese Menge in lizensierten Geschäften kaufen dürfen. So jedenfalls die Planungen der Ampel-Regierung. Noch jedoch verhindern völkerrechtliche Hürden die Legalisierung in Deutschland. Und es gibt nach wie vor große Bedenkenträger, aber auch Fürsprecher. Ein kleiner Überblick.

 

Von Gitta Schröder

 

Vorab ein interessanter Blick auf Portugal: Hier entkriminalisierte die Regierung schon 2001 den privaten Cannabis-Kleinst-Konsum, -Kauf, und -Besitz (und überhaupt aller Drogen), um das riesige Drogenproblem in den Griff zu bekommen und den Schwarzmarkt trocken zu legen. Das Credo des portugiesischen Drogenbeauftragten Dr. João Goulão war damals: Behandlung statt Bestrafung. Man solle die Sucht als Krankheit begreifen und sie mit der gleichen Würde wie andere Krankheiten behandeln, fand Goulão. Er sah im Drogenkonsum also ein gesundheitliches und soziales Problem statt ein strafrechtliches. 

Wird in Portugal heute jemand beim Kiffen oder im Besitz einer geringen Menge Drogen für den Eigenbedarf erwischt, so muss er vor eine „Kommission zur Verhinderung von Drogenmissbrauch“, die sich aus Medizinern, Psychologen, Rechtsvertretern und Sozialarbeitern zusammensetzt. Die Kommission bietet dem Süchtigen individuelle medizinische, soziale und psychologische Hilfe an. Wird er jedoch rückfällig, muss er mit ähnlichen strafrechtlichen Konsequenzen rechnen wie beim Fahren ohne Führerschein. Zeigt der Drogenkonsument hingegen echten Willen, die Sucht hinter sich zu lassen, wird ihm eine Arbeit und sogar eine Wohnung vermittelt, die zu 80 Prozent vom Staat gezahlt wird. 

Das Ergebnis ist positiv: Tatsächlich hat die Zahl der Drogenkonsumenten und der Beschaffungskriminalität in Portugal infolge der Entkriminalisierung abgenommen und liegt heute deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Nachdem in den 1980- und 1990er Jahren noch rund 350 Menschen an einer Überdosis starben, waren es im Jahr 2019 nur noch 63.Und auch die Zahl der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen, die beim Drogeneinstieg als besonders gefährdet gilt, ist seit 2001 deutlich gesunken.

 

In Deutschland will man in der Drogenpolitik einen ähnlichen Weg beschreiten – weg von Repression, hin zu Schutz und Hilfe. „Was wir in Zukunft nicht mehr brauchen, sind Strafverfahren gegen Konsumentinnen und Konsumenten, die mit ein paar Gramm Cannabis erwischt werden. Von denen soll niemand in den Knast wandern, sondern braucht eher eine Beratung“, findet der Sucht- und Drogenbeauftragte, Burkhard Blienert. Der SPD-Politiker beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Für und Wider der Cannabis-Legalisierung und befürwortet „eine staatlich streng kontrollierte Abgabe an Erwachsene zu Genusszwecken“.

Blienert geht es aber auch darum, die Gesundheit der Menschen zu schützen und gleichzeitig die Aufklärung unter jungen Menschen zu stärken: „Denn wenn Cannabis aus der illegalen Ecke gerückt wird, können wir ganz andere Prävention betreiben.“ Schließlich wolle niemand eine größere Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten unter Jugendlichen, unterstreicht der Vater zweier Kinder.

Auf die Frage hin, ob Blienert glaube, dass die rund 5 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland ihr Cannabis künftig tatsächlich in staatlich kontrollierten Shops kaufen, räumt er jedoch ein: „Wir sehen am Beispiel Kanada, dass es schon ein paar Jahre dauert, bis der Cannabis-Schwarzmarkt zurückgedrängt wird. Von heute auf morgen geht das nicht.“ Aber, so unterstreicht der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung: „Die lizensierten Fachgeschäfte werden anders als der Schwarzmarkt kein gestrecktes oder verunreinigtes Cannabis verkaufen. Wer also Sicherheit beim Konsum möchte, wird sich über kurz oder lang vom Schwarzmarkt abwenden.“

 

Einer, der sich ebenfalls seit langem für die Entkriminalisierung von Cannabis einsetzt, ist der Berliner Jugendrichter Andreas Müller, weil ein Verbot seiner Meinung nach ohnehin gescheitert sei. Würden Kleinst-Konsumenten hingegen nicht mehr strafrechtlich verfolgt, so würde dies eine enorme Entlastung für Polizei und Justiz bedeuten, so der Richter. Hintergrund: Jährlich werden zwischen 50.000 und 55.000 Menschen wegen Erwerb und Besitz im Regelfall geringer Mengen von illegalen Substanzen zum Eigenbedarf verurteilt (Quelle: United Nations, Office on Drugs and Crime). Andreas Müller gehört daher zum globalen Netzwerk LEAP (Law Enforcement Against Prohibition), das auf die schädlichen Folgen der Drogen-Prohibition und des „Krieges gegen die Drogen” aufmerksam macht.

Zum Hintergrund: Müllers Vater war schwerer Alkoholiker und starb schließlich an seiner Sucht. Vielleicht ein Grund, warum auch Müllers Bruder süchtig wurde. Allerdings griff er zum Joint und wurde bereits in jungen Jahren wegen Besitzes einer kleinen Menge Cannabis in den Knast gesteckt. Eine Zeit, von der sich der Bruder nicht erholte und später heroinabhängig wurde. Vor acht Jahren starb der Bruder dann und Müller kämpft seither für die Legalisierung und Rehabilitierung von Cannabis-Konsumenten. „Denn Haschisch ist keine Einstiegsdroge – so wie uns das seit ‚Die Kinder vom Bahnhof Zoo‘ und Christiane F. eingebläut wurde“, so der Richter. „Woran die Kids wirklich sterben, ist das gestreckte Zeug, das sie bei illegalen Dealern kaufen.“

 

Philine Edbauer, Co-Gründerin von #mybrainmychoice befürwortet ebenfalls die Entstigmatisierung und Entkriminalisierung von Personen, die illegale Drogen nehmen und sie kämpft für eine Beendigung des Drogenkrieges. Zusammen mit Julia Meisner setzt sie sich für eine zeitgemäße, wissenschaftsbasierte Drogenpolitik ein. Denn Drogen sind Edbauers Auffassung nach etwas Tolles – zumindest, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten wissen, wie und was sie zu sich nehmen. Die junge Frau probierte aus Verzweiflung selber diverse Drogen in Mikrodosierung, um ihre unerträglichen Schmerzen aufgrund einer Fibromyalgie-Nervenerkrankung zu lindern. Denn sie musste eine Zeitlang auf einen der begehrten Plätze in einer Schmerzklinik warten. Heute bekommt Philine Edbauer Medikamente gegen die Erkrankung, kämpft aber weiter für eine Kehrtwende in der bisherigen Drogenpolitik und bessere Aufklärung. 

 

Ein Ziel, für das auch die Initiatoren der Berliner Hanfparade seit 25 Jahren streiten. Sie kritisieren das bisherige Betäubungsmittelgesetz und fordern die Freigabe von Hanf als Rohstoff, Medizin und Genussmittel. Und weil ein wichtiges ihrer Etappenziele bereits erreicht ist – die Legalisierung von Cannabis als Medizin – können Tausende von Patientinnen und Patienten dies bereits nutzen. So auch Harry Z., der zwei Mal täglich THC-freien Hanf-Tee gegen seine Panikattacken und Unruhe-Zustände trinkt. „Seitdem bin ich viel ruhiger und ausgeglichener und kann schlafen wie ein Baby“, so Harry, der seine Hanfblüten legal übers Internet bei Lieferanten wie ‚Die Hanflinge‘, ‚CannaLeven‘ oder ‚Hanf im Glück“ bezieht. 

 

Als nächstes Etappenziel möchten die Hanfparade nun erreichen, dass Cannabis auch als Genussmittel für Erwachsene zugelassen wird – allerdings nicht nur in lizensierten Geschäften, sondern auch im Eigenanbau zur Selbstversorgung. Eine Forderung, die in Berliner Regierungskreisen bereits befürwortet wird.

Olivia F., die regelmäßig kifft, erzählt, dass sie künftig weiter zum Dealer ihres Vertrauens gehen wird. Sie kann sich nicht vorstellen, ihr Marihuana in einem staatlich kontrollierten Cannabis-Shop zu kaufen. „Außerdem bekomme ich bei meinem Dealer auch Stoff mit extraviel THC. So etwas dürfen die in einem der Lizenz-Geschäfte sicher nicht verticken“, sagt Olivia. 

 

Tatsächlich diskutiert die Bundesregierung gerade über eine Obergrenze von 15 Prozent des berauschenden Wirkstoffes THC beim Verkauf in den Cannabis-Läden. Beim Verkauf an Personen zwischen 18 und 21 Jahren soll der THC-Wert sogar nur bei höchstens zehn Prozent liegen. 

 

Vor der gefährlichen, hochpotenten Rausch-Wirkung warnt auch Professor Rainer Thomasius vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der ärztliche Leiter des Suchtbereiches ist strikt gegen die Legalisierung von Cannabis – und mit ihm zusammen diverse andere Kinder- und Jugendpsychiater*innen sowie Kinder- und Jugendärzte*innen. Sie alle vermuten, dass das frei verkäufliche Mariuhana für Erwachsene zur Folge hätte, dass auch Kinder und Jugendlichen an den Stoff gelangen.

Aber gerade Minderjährige werden bei regelmäßigem Kiffen einerseits schneller abhängig als Erwachsene. Andererseits laufen sie Gefahr, dass ihr Hirn, das sich bis zu einem Alter von rund 25 Jahren noch im Aufbau befindet, ernsten Schaden nimmt. „Das kann zu einer Abnahme des Hirnvolumens und damit eines Intelligenzverlustes von bis zu 9 IQ-Punkten kommen“, sagt Rainer Thomasius. 

 

Das Gefahren-Potenzial von Cannabis ist laut seiner Einschätzung aber noch größer: 

Denn vor allem bei emotional labilen sowie genetisch vorbelasteten Menschen steigt durch regelmäßiges Kiffen die Wahrscheinlichkeit von Symptomen wie Halluzinationen und Paranoia, die zu einer Psychose führen können. Regelmäßiges Kiffen kann bei Jugendlichen und Erwachsenen aber auch die Neigung zu Angsterkrankungen und Depressionen erhöhen – bis hin zu Selbstmord-Absichten.

Zur Untermauerung seiner Warnungen verweist Thomasius auf den US-Bundesstaat Colorado, wo es seit der Cannabis-Legalisierung zu einer deutlichen Zunahme von Suiziden gekommen ist. Auch die Anzahl von tödlichen Unfällen und Vergiftungserscheinungen bei Kindern habe zugekommen, die alle im Zusammenhang mit Cannabis standen.

Der Professor fordert deshalb von der Bundesregierung, an der bisherigen Präventionspolitik festzuhalten und den Markt zu beschränken. Das habe seiner Meinung nach ähnlich gute Effekte wie Tabakverbote. Indessen sei die Verhaltensprävention wie Drogen-Aufklärungsprojekte an Schulen bislang kaum ohne nachhaltigen Effekt, so seine Einschätzung.

 

Die Hamburger Schmerztherapeutin Dr. Maja Falckenberg vermutet hinter der ganzen Legalisierungsdebatte von Cannabis vor allem die Kommerzialisierung von medizinischem Cannabinoiden und redet von einem ‚Big Business‘ für die Pharma-Industrie. 

Dabei seien Cannabinoide in der Schmerz- und Palliativ-Medizin gar nicht unbedingt wirksam, weiß Dr. Falckenberg. Sie verweist auf den Internisten Dr. med. Winfried Häuser, der 2017 in einer groß angelegten Studie herausfand, dass viele Cannabis-Produkte mehr versprachen, als sie schließlich hielten. Zusammen mit drei Kolleginnen und Kollegen untersuchte Dr. Häuser, dass Cannabinoide (wie THC- oder CBD-Spray, Medizinal-Hanf u.ä.) zum Beispiel bei Patienten mit multipler Sklerose, rheumatischen Erkrankungen, AIDS oder auch tumor-bedingten Schmerzen keine signifikante Schmerzlinderung brächten. Auch was die Appetit- und Gewichtssteigerung und die Verringerung von Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten anging, so hielten die Cannabis-Produkte nicht das, was sie versprachen.

Eine Einschätzung, die auch die langjährige Hamburger Schmerztherapeutin Dr. Maja Falckenberg teilt. Nur bei ihren Patienten mit Nervenschmerzen wie Brennen, Kribbeln und Taubheit seien Cannabinoide wirklich hilfreich und dann verordne sie diese gerne. 

Denn bereits seit März 2017 gibt es die abgewandelte Arzneimittel-Verordnung, die es Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Cannabis zu haben. Die Kosten für die Therapie übernehmen im Regelfall die Krankenkassen. Allerdings müssen zuvor alle herkömmlichen Methoden angewendet worden sein, erklärt Falckenberg.

 

Aber zunächst prüft die Fachärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin sehr genau, ob die herkömmlichen Methoden nicht doch besser wirken. Einem Patienten mit Fibromyalgie, der unter starken Muskel-Schmerzen leide, könne zum Beispiel eventuell mit einem Antidepressivum gut geholfen werden, das nur 10 Euro pro Monat koste – im Vergleich zu einem Biologikum in Form von Injektionsspritzen, das mit 2500 Euro pro Monat zu Buche schlägt und dessen Wirksamkeit nicht im Ansatz bewiesen ist. 

„Außerdem sind wir Ärzte verpflichtet, mit unseren wirtschaftlichen Ressourcen gesund und umsichtig umzugehen“, meint die Medizinerin und hält dies auch für richtig, um das Gesundheitssystem nicht zu sprengen.

 

Was die Ärztin, die auch Mutter von vier Kindern und Oma von sieben Enkeln ist, aber vor allem bei der Legalisierung von Cannabis fürchtet, ist, dass immer mehr Jugendliche dann zu kiffen beginnen. „Neulich hat mein Enkel zum Beispiel zu mir sagt: ‚Hey – wenn Cannabis auch als Medizin zugelassen ist, dann kann das doch nicht so gefährlich sein.‘ Da denke ich doch nur, wie sollen die Kinder das auch verstehen?“ 

 

Doch zurück zum Big Business rund um die Cannabis-Legalisierung: Tatsächlich könnten laut Schätzungen des Düsseldorfer Ökonoms Justus Haucap rund 2,7 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen – rechnet man die Steuer auf Cannabis, Gewerbesteuer und die eingesparten Kosten für Polizei und Gerichte zusammen. 

Auf die Frage, ob diese hohe Summe dann auch zurück in die Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen fließt, antwortet Burkhard Blienert ausweichend: „Steuern sind ja grundsätzlich nicht zweckgebunden. Ich würde mir allerdings schon wünschen, dass wir eine Lösung finden, die die Prävention finanziell solide absichert.“